Wirtschaftsspiegel Thüringen - Sonderheft Ostthüringen - page 4

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Nachgefragt
„Keine Schönfärberei und mehr
Wertschätzung für das Erreichte“
Interview mit Peter Höhne, Hauptgeschäftsführer der IHK Ostthüringen zu Gera
Herr Höhne, Sie sind qua Amt sozu-
sagen der Cheflobbyist für den
Wirtschaftsraum Ostthüringen.
Was zeichnet die Region aus?
Die Wirtschaft in Ostthüringen ist klein-
teilig, dadurch schnell und flexibel, meist
breit aufgestellt, und immer nah am
Kunden. Viele Unternehmen bewegen sich
in innovativen Nischen, als Marktführer mit
hoher Wertschöpfung, was auch bedeutet:
Wir haben heute deutlich weniger „verlän-
gerte Werkbänke“ und deutlich weniger
klassische Lohnarbeit als vor zehn Jahren,
also weniger Abhängigkeiten. Andererseits
fehlt es hiesigen Firmen oftmals noch an
Schlagkraft und Eigenkapital für schnellere
Lohnanpassungen, für ein offensiveres
Auslandsengagement, für intensivere eige-
ne Forschung und Produktentwicklung.
Ostthüringen hat nach der
Wende einen Strukturwandel
durchmachen müssen. Wie hat die
Region das bewältigt?
Ganz unterschiedlich, schon von den
Ausgangslagen. Kommunal- und Landes-
politik setzen die Rahmenbedingungen,
in denen die Menschen in der Region den
Wandel gestalten. Manche Landkreise und
Städte haben sich daher deutlich schneller
entwickeln können als andere.
Industriemotor für Ostthüringen ist
natürlich Jena. Auch in und um Saalfeld
und Rudolstadt haben sich innovative und
weltweit agierende Unternehmen etabliert.
Nachholbedarf trotz inzwischen guter Stra-
ßeninfrastruktur besteht hier nach wie vor
bei der Anbindung an das Autobahnnetz.
Ebenso wie in Altenburg. Hier wünschen
wir uns eine wirksame länderübergreifende
Zusammenarbeit.
Der Saale-Holzland-Kreis punktet mit
seiner strategisch guten Lage am Herms-
dorfer Kreuz und der Nähe zu Jena, mit
bestens qualifizierten Fachkräften in der
Technischen Keramik, aber auch mit einem
unternehmensfreundlichen Umfeld. Allein
in Hermsdorf haben die Unternehmen in
den vergangenen Jahren über 2000 neue
Industriearbeitsplätze geschaffen.
Auch in Gera hat sich die Unternehmens-
landschaft stark gewandelt. Von einer
einstmals starken Textilindustrie ist nach
der Wende nur wenig übrig geblieben.
Stadtobere und Wirtschaftsförderer haben
sich über Jahre einseitig auf potenzielle
Großinvestoren fokussiert, statt sich um
die angesiedelten Unternehmen ausrei-
chend zu kümmern, statt zu werben für
Gründungen jeder Größe. Größere Gewer-
beflächen wurden erst spät erschlossen.
Neue Betriebe gingen daher lieber ins Um-
land, ebenso manche Betriebserweiterung.
Die Folgen daraus spürt die Stadt heute:
Abwanderung, Rückgang der Bevölkerung,
zu wenig Bewegung bei Industrieansied-
lungen. Das lässt sich nur schwer aufho-
len. Im Landkreis Greiz sind die Früchte
jahrelanger guter Wirtschaftsförderung
sichtbar, wie unsere Standortanalysen
immer wieder bestätigen. Weltbekannte
Unternehmen unterschiedlicher Branchen
haben sich niedergelassen und auch
touristisch ist der Landkreis gut unterwegs
- nicht nur, aber auch wegen der neuen
Möglichkeiten am „Zeulenrodaer Meer“.
Im Altenburger Land entwickelt sich - wenn
auch langsam - Automobilzulieferindustrie,
nicht zuletzt durch die räumliche Nähe
zum Wirtschaftsraum Zwickau-Chemnitz-
Leipzig. Aus Sicht der Unternehmen ist es
nicht nur richtig, sondern auch notwendig,
mehr in Wirtschaftsräumen zu denken
und weniger in Landesgrenzen. Richtig
ist auch, wie die Altenburger historischen
Werte und Wurzeln vermarkten für Touris-
mus und zu nutzen wissen für ihre mehr
regionale Identität. Im Saale-Orla Kreis als
eher ländliche Region haben wir - etwas
verstreut - einige „Industrieperlen“, so in
Bad Lobenstein. Einiges Potenzial schlum-
mert im Tourismus. Die Stauseelandschaft
mit Wasser und Wald bietet gute Bedingun-
gen für naturnahen Wassersport. Neben
einem auf die wunderschöne Natur abge-
stimmten Nutzungskonzept braucht es je-
doch deutlich mehr Bereitschaft, die Kräfte
zu bündeln und zu kooperieren, sowohl
der Kommunen als auch der Tourismusbe-
triebe. Die Gäste erwarten Perfektion und
keine Flickenteppiche.
Interview Torsten Laudien, Fotos: IHK
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